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800 Jahre Anhalt – ein Irrtum?  
   
 

In diesem Jahr feiert man 800 Jahre Anhalt. Ein Fehler, wie man in Dessau-Roßlau schon lange weiß.

Denn im Zentrum des Ortsteiles Mildensee steht ein Denkmal, das heimlich, aber unerbittlich die Wahrheit verrät: Obenauf läuft der anhaltische Bär, die Vorderseite ziert eine aufwändig gearbeitete Platte mit dem Wappen des Hauses Anhalt. Die Überraschung ist auf der Rückseite zu entdecken: „Das tausendjährige Anhalt gegründet 938 von Markgraf Gero“.

 

Müssen nun alle Feierlichkeiten abgesagt werden? Und wer ist dieser Gero? Der um 900 geborene Gero entstammte einem sächsischen Herrengeschlecht, die anhaltische Exklave Großalsleben gilt als Stammsitz. Um 938 – der genaue Zeitpunkt ist heute umstritten – machte ihn Kaiser Otto der Große zum Markgrafen der sächsischen Ostmark, also entlang von Saale und mittlerer Elbe. Und der Kaiser betraut ihn mit der Kriegsführung gegen die Slawen. Mit nicht zu leugnender Härte gelang es Gero, das Land bis zur Oder zu unterwerfen. Im Nibelungenlied findet sich Gero wieder, als „Markgraf Gere, ein Recke kühn und gut“.

Denkmal in Dessau-Mildensee zur Erinnerung an Markgraf Gero
Denkmal in Dessau-Mildensee zur
Erinnerung an Markgraf Gero

















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Doch das familiäre Glück wandte sich vom Markgrafen ab, seine Söhne starben vor ihm. In der Folge gründete Gero wohl 959 das Damenstift St. Cyriakus in Gernrode, das er reich ausstattete. Seine verwitwete Schwiegertochter Hathui setzte Gero als Äbtissin ein, er selbst wurde in Gernrode zur letzten Ruhe gebettet. Mit seinem Tode fiel sein Erbe dem Stift zu.

Bis heute spalten sich an Gero die Geister: Je nach Standpunkt gilt Gero den einen als durchsetzungsstark und erfolgreich, den anderen als rücksichtslos und brutal. In Polen bezeichnete man Gero gar als „Beginn des Hitlerismus“. Was hat das aber alles mit Anhalt zu tun?

Geros Schwester Hidda ist eine Vorfahrin des Hauses Anhalt-Askanien. Über diese Verwandtschaft erbten die Askanier möglicherweise überhaupt erst Besitzungen am Harz, zumindest aber leiteten sie den Anspruch auf die Vogtei über Gernrode daraus her. Mit der Säkularisierung des Stiftes Gernrode ging dessen Besitz zu Beginn des 17. Jahrhunderts an das Fürstenhaus Anhalt über. Damit machen – geographisch betrachtet – die ehemaligen Besitzungen des Markgrafen Gero wesentliche Teile des späteren Landes Anhalt aus.

Und 1938, in der Zeit des Nationalsozialismus, taugte ein gen Osten und gegen die Slawen ziehender Markgraf eben besser als Staatsgründer, als der Minne singende Heinrich I. von Anhalt.

Doch Gero hätte mit „Anhalt“ nichts anzufangen gewusst, ganz im Gegensatz zu Heinrich. Letzterem fielen nämlich 1212 Teile des väterlichen Erbes zu, unter anderem die Burg Anhalt im Selketal. Dieser Vorgang wird heute als Geburtsstunde des Landes Anhalt gewertet.

Heuer jährt sich die erwähnte Erbteilung zum 800. Male. Ruhigen Gewissens darf also 2012 als richtiges Jubiläumsjahr gefeiert werden. Auch wenn ein Denkmal in Dessau-Roßlau es besser wissen will.

   
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