Auch als Artikel im „Wochenspiegel“ für Köthen und Umgebung, vom 15. April 2009
Wer war eigentlich . . . Sehring ?
Bernhard Sehring – der Schöpfer und Erbauer der Jacobs-Türme

Stadtführer und Vereinsmitglied Bernd Westphal auf der Spurensuche in der Köthener Historie

 

Weithin sichtbar, egal aus welcher Himmelsrichtung sich die Besucher Köthen nähern, sind die Türme der St. Jacobs-Kirche unserer Stadt. 75 Meter ragen sie in den Himmel und werden bei ungefähr 50 Metern durch eine Brücke verbunden. Gebaut haben sie die Bauleute der in Köthen ansässigen Firma des Maurermeisters Müntze 1895-1897. Entworfen aber hat sie der Berliner Architekt Bernhard Sehring.

 


Blick über die Hallesche Straße zur Jakobskir-che, re. davor der Hallesche Turm, der übrig gebliebene Teil des gleichnamigen Stadttores. Dahinter Turm und Dach des 1900 eingeweih-ten 4. Rathauses. Ganz rechts ra-gen die drei Tür-me des Köthener Schlosses über die Dächer.
Diese Aufnahme der Kirche St. Jacob (von der Halle-schen Straße aus gesehen) zeigt deutlich, wie die 75 Meter hohen Türme alle anderen repräsentativen Gebäude der Innenstadt überragen.
(Ansichtskarte aus dem ersten Viertel des 20. Jh. - Quelle Sammlung Westphal)

Ernst Bernhard Sehring wurde am 1. Juni 1855 in Edderitz (bei Köthen) geboren und verstarb am 27. Dezember 1941 in Berlin-Charlottenburg. Sein Vater, welcher sein Geld als Bauführer in Dessau verdiente, ermöglichte ihm  dort eine gymnasiale Schulausbildung (1865-1873).
Anschließend studierte Bernhard Sehring  bis 1878 am Polytechnikum in Braunschweig und an der Königlichen Bauakademie Berlin.
Der junge Architekt machte sich schnell einen Namen als Spezialist für Theaterbauten. Als Anerkennung erhielt er 1881 den Schinkelpreis für seine Entwürfe zur Berliner Museumsinsel und 1882 den Großen Akademischen Staatspreis für einen Entwurf zum Berliner Kunstausstellungsgebäude. Mit dem Architekten Peters gründete er 1885 in Kreuzberg ein Architekturbüro und ab 1889 führte er ein eigenes Unternehmen. Sehring galt als fleißiger und sehr erfolgreicher Arbeiter. Von 1905 bis 1925 baute er für sich die Roseburg bei Ballenstedt als Sommersitz aus und um.
Am 9. Mai1908 stürzte die Betondecke der von Sehring entworfenen, neu erbauten Stadthalle in Görlitz ein. Bei dem Unglück fanden fünf Arbeiter den Tod und elf erlitten zum Teil schwere Verletzungen.












                Stadthalle Görlitz in den 1930er Jahre
Sehring, der am nächsten Tag am Unglücksort eintraf, um sich ein Bild zu machen, wurde sofort verhaftet (auch der Bauführer und der Baustofflieferant) und bis zum 14. Mai im Stadtgefängnis festgehalten.
Der anschließende Prozess zog sich über zwei Jahre hin und kostete mehr als 60.000,- Mark. Alle Beschuldigten erhielten einen Freispruch und Sehring konnte die Görlitzer Stadthalle vollenden. Die Einweihung erfolgte am 27. Oktober 1910. 

Im Jahre 1886 bildete sich in Cöthen ein Turmbau-Komitee für die Stadtkirche St. Jakob, mit dem Ziel die Köthener Hauptkirche, nach mehreren vergeblichen Bemühungen, endlich durch einen repräsentativen Turm zu komplettieren. Unter den vierzehn Mitgliedern befanden sich so angesehene Bürger wie der Geheime Kommerzienrat Louis Wittig und der Stadtbau-meister  Paul Bunzel. Den Vorsitz übernahm der Oberbürgermeister Alfred Joachimi.
Die für den Bau nötigen Mittel sollten durch eine Turmbau-Lotterie aufgebracht werden. Im März 1895 waren bereits 95.000 Mark eingespielt und weitere Mittel aus Geldspenden und Konzerterlösen in der Kasse
. Nach dem daraufhin ausgelobten Architekten-Wettbewerb entschied man sich für B. Sehrings Entwurf einer Doppelturmfront.
1895 begannen die Bauarbeiten. Schon die Ausschachtungen für das Fundament ergaben unsicheren Baugrund, was Verstärkungen in den Fundamenten nötig machte und zu ersten Kostenüberschreitungen führte.
Mit weiteren Verzögerungen wurde schließlich am 10. November 1896 der südliche Turmkopf aufgesetzt und damit die Türme fast fertig gestellt.
Das gesamte Bauvorhaben war aber noch nicht vollendet, da die Türme in 1,80 m Abstand von der Kirche errichtet wurden. Der Etat war allerdings fast erschöpft und es kam zu juristischen Auseinandersetzungen zwischen Sehring, dem Magistrat der Stadt und den bauausführenden Firmen.
Das Turmbaukomitee beschloss im März 1897, mit den restlichen zur Verfügung stehenden ca. 27.000 Mark, die Türme fertigstellen und die Lücke zur Kirche später schließen zu lassen. Bis 1900 bemühte sich die Stadt, durch weitere Lotterien die dringend benötigten Gelder zu beschaffen. In dieser Zeit ruhte der Bau.
Im Januar 1900 wandte sich Sehring an den nunmehrigen OB Ferdinand Schulz mit der Erklärung,
„ohne jede Entschädigung die künstlerische Leitung des Baues bis zu Ende zu führen“. Er hoffe auf „gütige Zustimmung . . ., weil dadurch  nicht nur jedes Risiko . . . ausgeschlossen ist, sondern auch die künstlerische Einheit bis zur Fertigstellung des Baues gesichert wird“.
Seine eigenen Geldforderungen, Sehring hatte Zahlungen an Berliner Firmen verauslagt, stellte er hinten an.
Sehring übernahm wieder die organisatorische Arbeit, aber durch zähe Verhandlungen, andauernde finanzielle Schwierigkeiten und einer schweren Erkrankung wurden die Bauarbeiten wahrscheinlich erst 1904 wieder aufgenommen. Hierbei verlängerte man das Kirchenschiff um die besagten 1,80 m, was die Harmonie der Raumproportionen stark verbesserte.
Am 19. März 1905 fand anlässlich  des Bauabschlusses ein Festgottesdienst im nunmehr erweiterten Kirchenschiff mit einer umgebauten und vergrößerten Orgel statt, an dem auch Sehring teilnahm.

 

 


 

   

 

Ergänzendes zum Doppelturm-Bau in Köthen hier: 
                               

 

 

Bernhard Sehring beteiligte sich auch am Architekten-Wettbewerb um den Entwurf eines neuen Rathauses in Köthen
(siehe re.: Inserat in der „Deutschen Bauzeitung - Verkündigungsblatt des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine”).
                                                            
Sein Wettbewerbs-Beitrag hier:

                          

 

 

 

 

 

 

 

 

 

              

Kleine Auswahl noch existierender Bauten Sehrings:
 
Oben li
.: Theater des Westens in Berlin Charlottenburg,
 
oben re.: Stadttheater Bielefeld, unten li.: Schloß Roseburg bei
  Ballenstedt im Harz, Sehrings Sommer- und Alterssitz,
 
unten re.: Staatstheater in Cottbus (wurde auf einer dt. Brief- 
  marke der Serie
„Berühmte deutsche Bauwerke“ verewigt)
 

 

 

Seine letzte Ruhe fand er zunächst auf der Roseburg bei Ballenstedt. Die Tochter Bernhard Sehrings soll die Urne nach dem 2. Weltkrieg nach Berlin gebracht haben, was sich aber nicht nachweisen lässt. Eine Graböffnung auf der Roseburg im Frühjahr 2008 hat bewiesen, dass sich die Urnen (B. Sehring und Ehefrau) nicht mehr dort befinden. Die bei der Öffnung vorgefundenen Brandplaketten (befinden sich eigentlich im Inneren einer Urne) lassen jedoch den Schluss zu, dass die Urnen auf der Roseburg entleert und mitgenommen wurden.

 

 

Weitere Links zu Bernhard Sehring und die Roseburg:

www.roseburg-harz.de                                      www.roseburg-cafe.de

Wikipedia-Eintrag zu Bernhard Sehring
 
Projektindex der Projekte B. Sehrings des Architektur-Museums der TU Berlin

 
  Bildbearbeitung und -texte: Hans-Jürgen Janik