Zerbster Veranstaltungsbericht Oktober 2016 |
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Johann Christian Schmohl - Auf
den Spuren eines anhaltischen Rebellen |
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Exkursion der RG Zerbst nach
Pülzig
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Treff am Samstag, dem
22.10.2016, 10.00 Uhr, an der Kirche von Pülzig.
Die Ortschronistin Cornelia Richter zeigt ihre
kleine Heimatgemeinde, die mit dem Namen
des anhaltischen Rebellen Johann Christian Schmohl verbunden ist. |
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Welches Dorf in Anhalt hat
schon einen echten Rebellen unter seinen ehemaligen Einwohnern? Pülzig
in der Nähe von Cobbelsdorf im Landkreis Wittenberg gelegen, hatte einen
solchen Vorfahren. Er hieß Johann Christian Schmohl und wurde am 12.
August 1756 in Pülzig geboren. Doch bevor die Ortschronistin
am 22. Oktober 2016 zwölf Exkursionsteilnehmer
des VAL zum Schmohl-Grundstück führte, war die Pülziger Sonnenkirche die
erste Station des Rundgangs durch das Dorf. |
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Der
östliche Zipfel des Freistaates Anhalt um 1925 mit dem Exkursionsziel
Pülzig, heute ein Ortsteil von Coswig (Anh.). Die
hier dargestellten Grenzen sind die zwischen Anhalt (li.) und Preußen
(re.) und die Elbe zwischen den anhaltischen Kreisen Zerbst, nördlich und
Dessau, südlich der Elbe. Diese Grenzen existieren heute nicht
mehr, da die letzte Kreisgebietsreform 2007 Coswig mit seinen
Ortsteilen, ungeachtet der seit Jahrhunderten bestehenden Landes- und
Binnengrenzen Anhalts, zum Landkreis Wittenberg schlug.
Zu Zeiten des Johann Christian Schmohl war aber rechts der Grenze noch
das Kurfürstentum Sachsen mit seinem Kurkreis, der sich nördlich bis nach
Belzig (Grenzfestung Eisenhardt) ausdehnte.
Als 1422 die askanische Linie der Kurfürsten von Sachsen (-Wittenberg)
erlosch, belehnte Kaiser Sigismund die wettinischen Markgrafen von
Meißen mit dem Kurfürstentum.
Diese übernahmen das Wappen der Askanier und den Namen „Sachsen“ für ihr
gesamtes Herrschaftsgebiet. Das frühere Sachsen-Wittenberg erhielt nach
1547 bei der Neuaufteilung seines Herrschaftsgebietes durch den
Kurfürsten Moritz als Kennzeichnung der früheren Stellung den Namen
„Kurkreis“. |
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Die
Sonnenkirche St. Jakobus besitzt als erstes Gotteshaus der evangelischen
Landeskirche Anhalts eine Solaranlage. Wie Frau Richter erzählt, konnte
sich die kleine Kirchgemeinde nie einen Elektroanschluss leisten und so
gab es auch keine elektrische Beleuchtung beim Gottesdienst. Erst im
November 2005 änderte sich das. Ein Solarpanel wurde am Turm angebracht
und die entsprechende Technik in der Kirche installiert. Dabei zeigte
sich der Vorteil der Sonnenkirche: Sie ist, sonst völlig unüblich, mit
dem Turm nach Süden ausgerichtet. Die St. Jakobuskirche wurde 1895
eingeweiht und ist ein Ersatzbau für die alte romanische
Feldsteinkirche, die baufällig geworden war. Zurzeit wird die
Dachkonstruktion der Backsteinkirche, die zu den Themenkirchen innerhalb
der Stiftung „Entschlossene Kirchen“ gehört, saniert.
Die Schrift auf der mit abgebildeten
Informationstafel:
- neugotische Backsteinkirche von
1895/96
- in Nord-Süd-Ausrichtung erbaut
- Glocke (90 cm Durchmesser,
Bronze)
1624 von H.
Michaelis/ Magdeburg
- einmanualige Orgel von W.
Rühmann/ Zörbig, ca. 1890
(Natürlich ist der regional
vielbeachtete Orgelbaumeister Wilhelm Rühlmann gemeint, der die Orgel
in die schlichte Innenaustattung der Kirche (und das sicherlich nicht
vor der Erbauungszeit 1895) einfügte. Das Kircheninnere stammt, bis
heute nahezu unverändert, aus der Zeit der Erbauung. |
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Nur wenige Meter von der Kirche entfernt liegt ein Hofgrundstück an der
Pülziger Dorfstraße, das einmal der Bauernfamilie Schmohl gehört haben
könnte. „Genau weiß man es nicht, denn es gab zwei Familien mit diesem
Namen,“ erklärt Cornelia Richter. Auf alle Fälle gibt es eine Zeichnung
aus dem Jahr 1865, die mit „Töffel Schmohl, Hof zu Pülzig“ beschriftet
ist. Sie stammt von Emil Zeiß, der auch eine Zeichnung der alten
Dorfkirche angefertigt hat. |
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Fürst Friedrich August von Anhalt-Zerbst (1734-1793),
der letzte
männliche Sproß der Zerbster Anhaltiner aus
der
Nebenlinie Anhalt-Zerbst-Dornburg (Abb. oben li.)
Das Wappen der Fürsten von Anhalt-Zerbst, zugleich
großes Staatswappen des Fürstenrums mit dem Unterschied
zu dem gleichen 12-feldrigen Wappen der drei anderen
anhaltischen Fürstentümern wegen des persönlichen Besitzes
des Zerbster
Fürstenhauses:
-goldener Löwe im blauen Feld
(Herrschaft Jever,
Allodialerbe* der Zerbster Fürsten),
- schwarzer Löwe im goldenen Feld
(Herrschaft Kniphausen,
Anspruchswappen),
- gekreuzte silberne Palmwedel und silberner
Brackenkopf im blauen Feld
(Amt Walternienburg, Lehnshoheit Sachsen-Weißenfels) |
Seine Mutter, die Fürstin Johanna Elisabeth von
Anhalt-Zerbst,
geb. Prinzessin von
Schleswig-Holstein-Gottorf war die Ehefrau des
Fürsten Christian August
Johanna Elisabeth war die Schwester des schwedischen Königs Adolf
Friedrich (ab 1751) und die Mutter der späteren russischen Zarin
Katharina II. (der Zerbster Prinzessin Sophie Auguste Friederike) . Sie
begleitete
1744 ihre Tochter an den Hof der Zarin Elisabeth
Petrowna und
lebte dort zwei Jahre.
In zahlreiche Intrigen verstrickt, schließlich der Spionage
verdächtig, durfte sie auf Anordnung der Zarin mit ihrer
Tochter, zu der Zeit noch Frau des Thronfolgers Großfürst Peter (später
Zar Peter III.) nicht mehr
schriftlich verkehren.
Aus Russland zurück, wurde sie 1747, nach dem Tod des Fürsten Christian
August die Regentin für ihren Sohn Friedrich August.
Sie ließ das Barockschloss Dornburg als repräsentatives Empfangsgebäude
für ihre kaiserliche und königliche Verwandtschaft errichten, die aber
nie zu Besuch erschien. Das ungenutzte Schloss war als
Drei-Flügel-Anlage
geplant, aber davon nur das Hauptgebäude
fertiggestellt.
Trotz der zu Beginn des Siebenjährigen Krieges 1756 erklärten
Neutralität Anhalts beherbergte die
Fürstinmutter einen französischen
Spion, Marquis de Fraigne, dessen Auftrag es war, die Bündnistreue
Russlands gegen Preußen zu erkunden.
Preußens Friedrich II. nahm diesen Spionagefall 1758 zum Anlass, mit
seinen Truppen Anhalt-Zerbst
militärisch zu besetzen. Friedrich August sah sich wegen dieses
politischen Zerwürfnisses gezwungen, Zerbst zu verlassen.
Die Fürstin floh 1758 nach Paris, wo sie als Gräfin von Oldenburg
zwei Jahre später starb. |
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* Allodialerbe - Erbe des vollen Eigentums
(im Gegensatz zum Lehnerbe, das einen Lehnsherren hatte und dem
Belehnten
gegen Leistungen und Verpflichtungen das Lehen zur Nutzung
übertrug, bestanden hier keine Verpflichtungen, da kein
Lehnsherr
über dem Lehnsnehmer stand. Im Falle der Herrschaft Jever bestand kein
Erbanspruch der anderen anhaltischen
Fürstenhäuser). |
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Fürst
Friedrich August (8. Aug. 1734 - 3. März 1793) war der letzte Herrscher
des Fürstentums Anhalt-Zerbst. Von den fünf
Kindern seines Vaters
Christian August und Gemahlin Johanna Elisabeth von Holstein-Gottorf
überlebten nur zwei das
Kindesalter: Sophie Auguste Friederike als
erstgeborene (später Zarin Katharina II. von Russland) und Friedrich
August.
Als der Vater 1747 starb,
übernahm seine Mutter die Regierung, 1750 begann seine Karriere in der
kaiserlich-östereichischen Armee. 1751 trat er die Regierung in Zerbst an.
Anscheinend der Regierungsgeschäfte bald überdrüssig, begab sich der
Siebzehnjährige
auf Reisen. 1752 in Zerbst zurück, heiratete er im
November 1753 Caroline Wilhelmina von Hessen-Kassel.
Im Siebenjährigen Krieg besetzte
Preußen, eine Spionageaffaire zum Vorwand nehmend, Anhalt-Zerbst und Friedrich August sah
sich gezwungen, Zerbst zu verlassen. Er regierte fortan über Zerbster Hofräte, die seine Regierungs-Ordres in seinen unterschiedlichen
Exilorten entgegennahmen. Dies führte zu einer inneren Zerrüttung des
Staatswesens im Zerbster und Jeveraner Landesteil, da Chaos, Willkür und
Despotie um sich griffen.
Im Mai 1759 starb seine Frau und er heiratete im zweiter Ehe die
Prinzessin Friederike Auguste von Anhalt-Bernburg. Mit ihr übersiedelte
er 1765 nach Basel, für viele Jahre der Exilort.
Friedrich August war Zeit seines Lebens dem Militärwesen zugeneigt. Er
erlangte in der österreichischen Armee den Rang eines
Feldmarschalleutnant (entsprach dem Generalleutnant in der
preußischen Armee). Er ließ Truppen in der Herrschaft
Jever aufstellen, deren Mannschaftsstärke er durch Pressungen
seiner Untertanen zum Armeedienst erreichte. 1778 bis 1783 verkaufte
er
dann zwei Regimenter mit zusammen 1152 Mann an England für dessen
Kriegführung im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und besserte damit
seine Staatskasse auf, die erst durch seine Politik in eine Notsituation
geriet. Dass diese Regimenter horrende Verluste zu verzeichnen hatten, störte ihn
anscheinend wenig. Er war ja als Militär den großen Truppenverlust
gewöhnt.
1780 verließ er Basel in Richtung
Luxemburg, wurde 1789 zum Feldmarschalleutnant ernannt und 1792
mit der Führung des gesamtanhaltischen Kontingents der Reichsarmee
betraut.
Er verstarb 1793, kinderlos und seiner Heimat längst entfremdet, in
Luxemburg und wurde dort am 18. März auf dem Gottesacker vor dem neuen
Tor bestattet.
Mit seinem Tod erlosch die Zerbster Fürstenlinie und Anhalt-Zerbst wurde
unter den drei übrigen anhaltischen Fürstentümern aufgeteilt. Der
Allodialbesitz Jever fiel wegen ihres Status als Kunkellehens
(Lehen, das der Erbfolge der Mutter folgend, vererbt wird, also die
weibliche Erbfolge zulässt)
an die Schwester des Erblassers, die Zarin Katharina II. und kam somit unter
russischer Herrschaft.. Katharina setzte die Witwe
Friedrich Augusts,
Friederike Auguste Sophie als kaiserlich russische Statthalterin ein. Die neue Statthalterin
übte Ihr Amt mit Umsicht und Reformeifer bis zur Besetzung der
Herrschaft Jever durch napoleonische Truppen aus. Damit endete die
anhaltische Herrschaftsgeschichte in Jever mit einem etwas
versöhnlicheren Nachklang. |
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Hier könnte der für einen Dorfjungen wie Johann Christian Schmohl
ungewöhnliche Lebenslauf seinen Anfang genommen haben. Er studiert
Kameralistik, also Ökonomie und macht sich seine eigenen Gedanken,
verfasst ein Buch, das er „Sammlung von Aufsätzen besonders für Freunde
der Cameralwissenschaften und der Staatswirthschaft“ nennt. Für Fürst
Friedrich August von Anhalt-Zerbst sind die Ideen Schmohls eine
Provokation und er lässt ihn verfolgen. Der als Hochverräter
gebrandmarkte Magister geht über die nahe Grenze, via Kursachsen nach
Preußen und dann weiter nach Großbritannien. 1781 lässt Fürst Friedrich
August das Buch in Zerbst vor dem Roland von einem Henker verbrennen.
Wenige Jahre später verlieren sich die Spuren des anhaltischen Rebellen.
Man vermutet, dass er 1783 bei der Überfahrt nach Amerika, wohin er
fliehen wollte, ums Leben gekommen ist. |
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Aus heutiger Sicht könnte man meinen,
dieser Friedrich August wäre ein besonders schlimmer Despot gewesen,
weil
er seine Untertanen als Kanonenfutter verkaufte und sich kaum um sein
Herrschaftsgebiet kümmerte, solange es Geld in die Staatskasse
einbrachte.
Auch andere deutsche
Fürsten taten es dem Zerbster gleich.
Sie alle, Friedrich August,
seine Mutter, wie auch Johann Christian Schmohl waren Kinder ihrer Zeit.
Ihre Handlungen müssen also im Rahmen der vorherrschenden
gesellschaftlichen Verhältnisse beurteilt werden. Der Untertan zählte
nichts und die meisten Herrscher betrachteten ihr Land als ihre freie
Verfügungsmasse. Und vermutlich war unser Rebell Schmohl auch nicht ein
Revolutionär im heutigen Sinne, sondern eher jemand, der Mißstände im
damaligen Finanz- und Steuerwesen erkannte, wenn man den Titel seines
Buches so interpretieren will, und sich damit die Feindschaft des
Feudalstaates zuzog, weil an den Prinzipien des „gottgewollten“
Herrschaftssystems Kritik geübt wurde. |
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Pülzig,
das heute 68 Einwohner zählt, wurde 1224 das erste Mal erwähnt. Der
kleine Ort kämpft wie viele andere mit den Folgen der demografischen
Entwicklung. Es bleibt zu hoffen, dass Pülzig als liebenswertes Dorf
trotzdem eine glückliche Zukunft hat. Dazu könnte auch die etwas schräge
Gaststätte „Fidele Kutscherklause“ (FKK) beitragen. Die
Exkursionsteilnehmer ließen sich dort jedenfalls zum Abschluss schon mal
das Mittagessen schmecken. |
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Lothar Jeschke |
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Fotos
und Zeichnungsscan:
Lothar Jeschke Bildbearbeitungen
und Beitext:
Hans-Jürgen Janik |
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