Archivale des Monats Juni 2024:
Wie eine Postkarte den Lebensweg des anhaltischen
Ministerpräsidenten Heinrich Deist (1874-1963) bestimmte


In seinen 1962 verfassten Erinnerungen schilderte Heinrich Deist, wie ihn sein Weg aus seinem Heimatort Mitterode – heute ein Ortsteil der nordhessischen Stadt Sontra – über mehrere Stationen in die anhaltische Hauptstadt Dessau führte. Seine Eltern bewirtschafteten in Mitterode einen Bauernhof, der 1886 hochverschuldet versteigert wurde. Die Familie zog nach Kassel, wo der Vater nun als Fabrikarbeiter tätig war. Nach fast sechsjährigem Besuch der Mitteröder Dorfschule wechselte Heinrich Deist an die Knabenfreischule in Kassel. Dort beendete er 1888 seine siebenjährige Schulausbildung. Danach arbeitete er ein Jahr als Fabrikarbeiter und absolvierte anschließend eine Lehre zum Schriftsetzer. Er trat in den Buchdruckerverband ein und begab sich wie es damals noch üblich war – ab Februar 1894 auf Wanderschaft. Er arbeitete u.a. in Koblenz, Hamburg und Tangermünde. 1895 wurde er Mitglied der SPD. Seit 1898 lebte er in Bant bei Wilhelmshaven. Am 28.Dezember 1901 heiratete er Louise Breitzmann. Aus der Ehe gingen vier Söhne hervor.

Ende Mai 1903 erhielt Deist von dem befreundeten Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung „Correspondent für Deutschlands Buchdrucker und Schriftgießer“, Ludwig Rexhäuser (1863-1914), eine Postkarte aus Leipzig. Deist berichtete in seinen Erinnerungen dazu:
„Diese Postkarte ist bestimmend gewesen für meinen ferneren Lebenslauf. Sie enthielt aufgeklebt einen Ausschnitt aus dem „Correspondent“ mit einer Annonce, in der die Genossen in Anhalt für ihr Volksblatt mit Buchhandlung einen Geschäftsführer, bewan-dert im Buchdruckereibetrieb und in der Buchhaltung, suchten“. Rexhäuser meinte, dass sich Deist ausgezeichnet für den Posten eignen würde und schrieb u.a.: „Die Genossen in Dessau sind ziemlich nette Leute, mit denen Sie wohl auskommen würden. Versuchen Sie es einmal …]“.

Nach kurzer Überlegung bewarb sich Deist erfolgreich um die ausgeschriebene Stelle. Er ahnte damals noch nicht, dass seine Geschäftsführertätigkeit bei der sozialdemokratischen Tageszeitung den Beginn einer erfolgreichen Karriere als Lokal- und Landespolitiker markierte. Auf deren Höhepunkt bekleidete er ab Juli 1919 zunächst das Amt eines Staatsratspräsidenten, dann von Oktober 1922 bis Mai 1932 eines Ministerpräsidenten des Freistaates Anhalt, der nach dem Thronverzicht des anhaltischen Herzogshauses im November 1918 gegründet worden war. Deist‘s Regierungszeit wurde lediglich im Jahr 1924 für vier Monate unterbrochen.

Anlässlich des 150. Geburtstages von Heinrich Deist ist die erwähnte „schicksalhafte“ Postkarte als Archivale des Monats Juni im Archivverbund Dessau (Alter Wasserturm) in der Heidestraße 21 zu sehen. Sie gehört zu einem Nachlass, der heute im Landesarchiv Sachsen-Anhalt verwahrt wird und unter:

https://recherche.landesarchiv.sachsenanhalt.de/query/detail.aspx?ID=196172 online

recherchierbar ist. Er kann auf Anfrage innerhalb der Öffnungszeiten des Lesesaals (Mi 9-17 Uhr, Do 9-19 Uhr) eingesehen werden.

Kontakt: Dr. Hermann Kinne
Leiter der Abteilung Dessau
Heidestraße 21, 06842 Dessau-Roßlau
Tel. 0340/519896-0
Fax: 0340/519896-90
dessau@la.sachsen-anhalt.de
www.landesarchiv.sachsen-anhalt.de

(Quellen der Abbildungen: LASA, E 111, Nr. 3 und LASA, E 111, Nr. 14)

Archivale des Monats Februar 2024
in der Abteilung Dessau des Landesarchivs Sachsen-Anhalt:

Der Bernburger Bürgermord am 16. März 1849


Vor fast 175 Jahren wurde mit dem „Bernburger Bürgermord“ das blutigste Kapitel der Revolution 1848/49 auf dem Gebiet des heutigen Landes Sachsen-Anhalts geschrieben. Ausgangspunkt dafür waren „Die tumultuarischen Vorgänge am 16. März 1849 in Bernburg wegen der Verhaftung des Lohgerbermeisters Joseph Calm“ (so der Titel einer im Landesarchiv verwahrten Akte). Nachdem gegen ihn bereits eine Untersuchung wegen Majestätsbeleidigung bei einer Volksversammlung in Peißen im Januar 1849 in die Wege geleitet worden war, berichtete wenig später das Justizamt Ballenstedt von einer am 11. März in Badeborn stattgefundenen Volksversammlung, in deren Anschluss die Volksmenge fahnenschwenkend mit Musik und angeführt von dem auf einem Pferd reitenden Calm durch die Stadt Ballenstedt zog. Die Lage vor Ort wurde als höchst explosiv eingeschätzt, so dass „ein Ausbruch der Leidenschaften täglich zu befürchten“ sei. Deshalb fand in der Wohnung des Ballenstedters Bürgermeisters eine Beratung zu erforderlichen Gegenmaßnahmen statt.

Am 16. März um 6.00 Uhr morgens wurde der noch im Bett liegende Calm verhaftet.
Als das publik wurde, versammelte sich vor dem Gerichtsgefängnis Bernburg eine große Menschenmenge und setzte dessen Freilassung durch. Daraufhin marschierte die Menge mit Calm an der Spitze zum Appellationsgericht, um die Freilassung gegen Zahlung einer Kaution auch rechtskräftig bestätigen zu lassen. Im Gerichtsgebäude wurde verhandelt, draußen stand das mittlerweile aufgezogene Militär den demonstrierenden Bürgern gegenüber. Die Frage, warum plötzlich das Militär auf Befehl Hauptmann von Trützschlers Gewehrsalven auf die Menschenmenge abgab, wobei es 13 Tote gab, scheint niemals Teil einer gerichtlichen Auseinandersetzung gewesen zu sein.
Dafür gingen die Tumulte mit Gefangenenbefreiung bis Ende des Jahres 1850 durch alle juristischen Instanzen. Letztendlich wurde Lohgerbermeister Calm wegen mangelnder Beweise in allen Anklagepunkten freigesprochen, während fast 50 Bürger schuldig gesprochen und zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.

Landesarchiv Pressemitteilung Nr. 4 vom 29.01.2024

Für Interessenten besteht die Möglichkeit, einige bereitliegende Behörden- und Gerichtsakten zu diesem Fall während unserer Öffnungszeiten (Mittwoch und Donnerstag von 9:00-17:00 Uhr) einzusehen.
Kontakt: Dr. Hermann Kinne
Leiter der Abteilung Dessau
Heidestraße 21, 06842 Dessau-Roßlau
Tel. 0340/519896-0
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dessau@la.sachsen-anhalt.de
www.landesarchiv.sachsen-anhalt.de

Quelle: LASA, Z 18, C 9o Nr. 7 Bd. VIII

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