Jahresbrief 2022


Gedanken zum Jahresende 2022

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder,

O tempora! O mores! Wer von uns hat das nicht schon einmal mit einem stillen Seufzer für sich oder in einer Runde angemerkt, wenn es um diese unruhigen Zeiten ging? Gleich viermal hatte Cicero seine berühmten Reden mit diesem Ruf gewürzt. Und es scheint sich nichts zum Besseren verändert zu haben, seit er 70 v.Chr. mit seinen Reden gegen den korrupten ehemaligen Statthalter Sizilien Gaius Verres zum bedeutendsten römischen Redner wurde. Erst vor wenigen Tagen wurden Mitarbeiter des Europäischen Parlaments unter Korruptionsverdacht verhaftet. Und wir brauchen gar nicht mit den Fingern auf Katar zu zeigen, am Fußball-„Sommermärchen“ 2006 kleben wegen Verjährungen 6,7 Millionen Euro unaufgeklärte Zahlungen des DFB. Scheinheiligkeit ist auch noch im Spiel, wenn die Teilnahme unserer Fußballer an der Weltmeisterschaft im Wüstenstaat moralinsauer kritisiert wird, gleichzeitig aber unsere Regierung dort Gas einkauft. Dergleichen gäbe es manches hinzuzufügen, was aber einen Jahresbrief sprengen dürfte.
Geht es uns in Deutschland zu gut? Trotz einer der längsten Hochkonjunkturphasen in der jüngeren Geschichte unseres Vaterlandes werden Hirngespinste in die Welt gesetzt, wird an Umsturzplänen nicht etwa von rechts- oder linksextremen Kräften gearbeitet, werden Politiker auf übelste Weise beschimpft, und aus Hassrede folgte nun leider schon die Ermordung eines mutigen Staatsdieners, des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.
„Andere Zeiten, andere Sorgen“, bewegten den preußischen Kronprinzen Friedrich am 6. Juli 1737 sich in seinem Briefwechsel an Voltaire zu wenden: „In Deutschland fehlt es weder an Abergläubischen noch an Fanatikern, die in ihre Vorurteile verrannt und äußerst schädlich sind. Sie sind umso unverbesserlicher, als ihre stumpfe Unwissenheit ihnen den Gebrauch der Vernunft untersagt. Fest steht, dass man in Gesellschaft vor solchen Subjekten auf der Hut sein muss.“

Und wenn ich kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen muss, dass es in Deutschland inzwischen über 200 Lehrstühle für das Gendern in all seinen Facetten und Auswucherungen gibt, aber nur 120 für Germanisten, dann musste seiner Zeit der noch junge Fritz zu einem ähnlichen Urteil kommen. „Unsre Universitäten und unsre Akademie der Wissenschaften befinden sich in traurigem Zustande; es scheint, dass die Musen unsre Himmelsstriche verlassen wollen…Heute kommt die Akademie täglich mehr herunter. Tränenden Auges sehe ich das Wissen entfliehen, sehe, wie sich mit hochmütiger Miene die Unwissenheit und die Barbarei der Sitten seinen Platz aneignen.

Apollos Lorbeer welkt im dürren Sand
Verwahrlost hin, als ob ihn keiner kennte.
Warum, o Götter, ist mein Vaterland
Nicht mehr das Land des Ruhms und der Talente!“1

Wie sehr ist man geneigt ihm hier seiner Dichtung zu folgen, wenn wir an die Bildungsmisere und vieles andere denken. Doch es gibt auch gute Nachrichten. Der am Leipziger Max-Planck-Institut forschende Svante Pääbo hat gerade den Nobelpreis erhalten. Intel bereitet den Magdeburgern gerade größte Probleme, denn es ist überhaupt nicht einfach in unserem überbürokratisierten Land kurzerhand 5-6000 Arbeitsplätze zu sichern. Mit dem Kohleausstieg fließen viele Millionen in unsere Region. Hoffentlich stehen genügend Zukunftsprojekte dafür zur Verfügung.
Doch kehren wir um von diesen Höhen. Ich danke unserem frischgebackenen Ehrenvorsitzenden, Prof. Dr. Hermann Seeber, dass er mir im vergangenen Jahr noch einmal diese besondere Herausforderung abgenommen und den Jahresbrief 2021 übernommen hatte. Gern komme ich dem Wunsche des Vorstands nach, der wohl auch zahlreiche Wünsche aus der Mitgliedschaft widerspiegelt, und setze diese schöne Tradition fort. Das Thema ist mir natürlich aus dem Amte wie auch im Privaten nicht fremd. Vor einigen Jahren hatte ich von meinem Vater den Vorsitz unseres Familienvereins übernommen und damit auch den jährlichen Familienbrief geerbt.

1Max Hein [Hrg.]: Briefe Friedrichs II. von Preußen. Berlin, 1914, S. 107-109

Dankbar nahmen wir die zunehmenden Lockerungen der Pandemieauflagen zur Kenntnis, was auch wieder zu einer vermehrten Vereinstätigkeit führte. Darüber wurde auf der Jahresmitgliederversammlung am 17. September 2022 informiert. Besonders bemerkenswert sind dabei die so genannten „Hands on“-Projekte, wie es im Neudeutschen mittlerweile heißt. Mitglieder erforschen also nicht nur Anhalts Geschichte, sie sorgen auch mit persönlichem Einsatz für den Erhalt von Gestalt gewordenen Zeugnissen anhaltischer Geschichte. Ich danke allen, besonders Geschäftsführer Frank Hänsgen und Prof. Seeber für die Vorbereitung und Durchführung der Versammlung im ehemaligen Speisesaal der Roßlauer Schiffswerft. Ich denke, es war eine gelungene Veranstaltung. Der Festvortrag soll für die nächsten Mitteilungen aufbereitet werden. Die Führungen durch die Werft und im Schiffermuseum sowie auf der Wasserburg und in der Ausstellung Roßlauer Porzellans samt Kaffeetafel in der Endmontagehalle des Elbewerkes wurden gut angenommen. Roßlau war das erste Mal Gastgeber, und ich denke, dass die Gäste gute Eindrücke aus der Schifferstadt mitgenommen haben. Jetzt laden wir zur nächsten, dann wieder traditionell nach Pfingsten am 3. Juni 2023 stattfindenden Jahresmitgliederversammlung nach Oranienbaum ein, und ich bitte schon jetzt den Termin zu fixieren.
Zu den Regularien kann ich berichten, dass der neue Vorstand inzwischen notariell beglaubigt und zur Eintragung in das Vereinsregister beantragt ist. In diesem Jahr haben wir auch wieder vier Vorstandssitzungen durchgeführt. Die Ausgabe der Mitteilungen 2022 ist im Druck und werden zu Beginn des neuen Jahres ausgeliefert. Für unsere Geschäftsstelle müssen wir über kurz oder lang ein Asylum finden, da das Steinerne Haus saniert werden soll, ja muss.
Ich wünsche allen Mitgliedern unseres VAL und ihren Familien eine frohe und gesegnete Weihnacht sowie ein glückliches und gesundes neues Jahr 2023.

Mit allen guten Wünschen und herzlichen Grüße

Ihr

Klemens Maria Koschig im Dezember 2022

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